Bildhauer, Maler & Schriftsteller

Josef Schnitzer
Josef Schnitzer

Name:               Josef Schnitzer

Beruf:                Künstler

Geburtstag:     28.9.1944

Geburtsort:      Schladming

 

Josef Schnitzers großer Traum war schon immer ein Leben als Künstler. Doch sein Leben war geprägt von vielen Rückschlägen. Als Handwerkersohn war sein Werdegang bereits strikt vorgegeben, doch er selbst gab seinen Traum nie auf. Er entschied sich gegen die Übernahme des Handwerksbetriebes seines Vaters und für die Kunst.


H o l z  u n d  S k u l p t u r

 

Ausschnitte aus autobiografischen Texten 

 

In so manchen alten Kulturen war es verboten, gewisse Bäume umzuschneiden, sogar bei Todesstrafe. 

Übrigens, damals gab es noch keine Tourismus-Manager, und wie es scheint, keine Skiabfahrten. 

Goldene Zeiten, zumindest in gewisser Hinsicht. Holz galt nicht nur als Wirtschaftsfaktor. Ein Baum wurde wahrgenommen als organisches Lebewesen und als solches geachtet und respektiert. Mensch und Natur wurden in der Einheit mit dem Ganzen gesehen und heute, ja heute trennt man und vor allem, man konsumiert. Man konsumiert alles, die Natur inbegriffen. 

Der Zweck heiligt die Mittel und vieles wurde geheiligt. 

Goldrausch in Kalifornien. 

 

Texte wie diese autobiografischen Aufzeichnungen muten da für den sogenannten Durchschnittsbürger oder Konsumenten lächerlich an. 

 

Es wird nicht allzu lange dauern und so manchem, der die Natur benützt wie man einen Putzlappen benützt und wegwirft, wird das Lachen im Hals stecken bleiben, wie die Holzspäne der geschlägerten Bäume, die den Politikern nicht ins Konzept passen.

 

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Ein entscheidender Teil von Josef‘s Leben galt seiner Arbeit mit Holz. Ein hoch organisches Material. Natur im reinsten Sinne des Wortes. Der ergraute Künstler liebte es über alles.

 

Voll Ehrfurcht stand er vor dem eher schlanken Ahorn,  den er auserwählt hatte. Lange verweilte er dort, ehe er sich entschloss, hinzuknien, um mit gekreuzten Beinen ganz knapp am Stamm zu sitzen. 

 

Nicht allzu lange dauerte es und er fiel in eine Versenkung. Ich und du hatten sich aufgelöst; wie Zucker im Tee. Plötzlich fühlte Josef den lebenden Organismus, der vor ihm pulsierte und sprühte vor Energie. 

Er war das Ganze, nicht getrennt vom Ahorn. Die Beiden waren Einheit, Mensch und Baum gab es nicht mehr. So verharrend dauerte es und irgendwann kehrte Josef wieder zurück, getrennt ins Baum- und Mensch-Sein. 

 

Du, Baum, sagte er in sich, erlaube mir bitte, dich in die Verwandlung zu führen. Du wirst nie wieder sein was du einst warst. Ich werde dir das Antlitz einer Skulptur schenken. 

 

Josef fühlte in seinem Herzen so etwas wie ein Einverständnis. Wie bei den Indianern, die sich bei dem erlegten Hirsch bedankten. 

 

Der  Bildhauer verbeugte sich, holte den Bauern, der die Säge ansetzte und die Späne flogen und tanzten durch die Luft und der Benzingeruch der Säge verbreitete sich.  Dem naturverbundenen Bildhauer schien es, als würde er den Schnitt ins Holz des Organismus am eigenen Körper fühlen. 

Die Beiden verband etwas, fast wie eine feinstoffliche Kommunikation. 

Als der Baum gefallen war, wusste der Künstler, ein entscheidender Teil der Verwandlung war geschehen. 

 

Aus dem verbliebenen Stumpf floss Wasser, es sprudelte nur so und floss über die Kante den Wurzeln entlang ins Gras. 

Wie Blut sagte Josef sich und dachte an einen blutenden Hirsch, der erlegt war, nur dieser Stamm, sagte er sich, lebt noch länger, ehe er beginnt abzusterben. 

Jetzt versorgt er noch immer seine Kinder, die Äste und Blätter, ein Teil seiner Existenz. Nur seine Kinder, die gab es nicht mehr. Schon jetzt begannen sie ihre Flüssigkeit abzugeben, um eine andere Form anzunehmen. 

Die Verwandlung nahm ihren Lauf.

 

Wie ein riesiges Fossil lag der Stamm da. Todeszeit Dezember 2000 im Steinbock bei abnehmendem Mond. Eigentlich von Tod keine Rede. Nur im Begriff ein anderer zu werden, das  war es, was geschah.

 

Als der Holzkünstler vor seinem Atelier den auf massiven Holzböcken eingekeilten Stamm zu entrinden begann, verbreitete sich ein Duft, der an Hefe erinnerte. Hunderte, ja tausende Insekten holten sich ihren Anteil vom Kuchen Natur. Alles um ihn schwirrte, flatterte und krabbelte am schleimigen Stamm ohne Rinde. Der begeisterte Holzliebhaber legte seine Hände flach auf das riesige Lebewesen und fühlte, noch immer lag enorme Kraft in diesem Stück Holz, das eigentlich lebte und pulsierte, wie Natur es tut. 

 

Lange hielt er die Position. Deutlich spürte der im Einklang Lebende wieder, wie diese Energie zu ihm hinüberströmte. Als würde, wie damals als kleiner Junge, der prickelnde Strom durch seine Zunge fließen, die er sachte zwischen die Schienen der Modelleisenbahn steckte, nur um vieles sanfter. Und vor allem, das hier war Lebensenergie, die ein Baumstamm ausströmte.

Diesen Stamm sollten nur seine Hände berühren. 

 

Als nächsten Arbeitsschritt galt es, quer zum Stamm Schlitze einzusägen, eigentlich der ganzen Länge entlang, um mit dem breiten Bildhauereisen eine ebene Fläche zu erzielen durch Abstemmen der angeschnittenen Teile. Dieser Arbeitsvorgang wiederholte sich an den restlichen drei Seiten bis sich ein an die drei Meter langer Quader ergab. 

Jetzt erst begann die wirklich schöne Arbeit. Der grobe Teil war beendet und Josef siedelte mit seinem riesigen Holzstück um ins Atelier. Alles hatte er fix und fertig vorbereitet, um mit dem Hauptteil zu beginnen. 

Heute war ihm besonders danach, dem Tun einen meditativen Charakter zu verleihen. 

Die Schnitzmesser lagen da, auf Tücher gebettet, wie kleine Kinder, die darauf warteten, geweckt zu werden, zu tun worin ihre Stärke lag, scharf geschliffen in hartes Holz einzudringen. 

 

Der abgehobene Künstler, manche sagten: Der etwas Verrückte, tat das, was in überrationalen Zeiten alles war, nur nicht üblich. Er setzte sich hin vor das aufgestellte Stück Leben und versuchte es von der nicht räumlichen Seite her zu erfassen. Vom alten wackeligen  Holzliegestuhl mit dem kitschigen Blumenmuster-Stoff aus, ließ er sich leicht schaukelnd hineinfallen in ein Jenseits von gut  und böse. 

In einem Gefühl wie Schweben nahm er Holz ganz anders wahr. Vage tauchte vor ihm eine schlanke, hohe Skulptur auf aus dem Nebel und verschwand. Das, sagte er sich, das ist sie und schon war sie aus seinem Vorstellungsvermögen verschwunden. Lange saß er noch ehe er seine ersten Schläge mit dem massigen Holzknüppel ganz sachte ansetzte und die Kanten abrundete. 

 

Ein Bild trat in sein Bewusstsein, weich, feminin und schon war alles wieder verschwunden. Mit dem Bleistift zog der meditative Künstler elegante Schwünge quer zum Holzstück und verwandelte sie in tiefe Schlitze, die parallele Wülste verkörperten. Organisch wirkte das Ganze. Josef war im Begriff aus Leben neues Leben zu schaffen. Die Endphase der Verwandlung hatte soeben begonnen. 

 

 

Als zum Wochenende Theresa eintrudelte zu Besuch sagte sie schon von der Ateliertüre aus, fast vorwurfsvoll: 

Schon wieder eine Frau!

Mädchen, das ist eine organische Form. Davon gibt es einen ganzen Zyklus. Frau ist das keine, aber vielleicht zum Teil, aber auch so manch anderes. 

Sie soll nicht etwas sein, nein, sie ist selbst etwas. Sie teilt sich mit durch ihre persönliche Eigenart. In Wirklichkeit hat sie sich selbst gemacht, durch mich, lächelt er in sich hinein. Der Kosmos schafft sich selbst. Ich bin auch ein Teil Evolution. 

 

Mag sein, aber übertreib nicht, klingt es und weiters, komm, der Kaffee steht bereit. 

Überredet, sagt er und geht hinüber in den Wohnraum. 

 

Das Einfachste wäre, meint die Donaufrau. 

Keine Erklärungen. 

Sie ist schön, eine wunderschöne Skulptur mit Ausstrahlung, mit deiner Ausstrahlung, du  mein Künstler. 

Das genügt. Basta, sagt er ergänzend, lacht und holt sich den Whisky aus der Speisekammer. Prompt erntet er ein: 

So früh  schon? 

Was heißt da so früh schon, meine Dame, es ist bereits 16:00 Uhr vorbei, ideal für Whisky. 

Diese Bauernkrapfen, freut sie sich, sind ja köstlich; mit Rosinen und Weizenduft. Da esse ich noch einen und küsst den Holzbildhauer im Vorbeigehen auf die Stirn.

 

Du siehst müde aus, sagt er. 

Ja, arbeiten bis zur letzten Minute und dann noch die Anreise zu dir. 

Schön aber, dass du da bist, komm, leg dich hin auf die Bank. Im Notfall wuzle ich dir sogar die Zehen. 

Es ist ein Notfall klingt es, und schon liegt sie flach auf der Bank und vergisst fast den Krapfen, fast. Nachdem Josef hingreifen will, ist er verschwunden. Nach langen Wuzeleien  schläft Sie ein, die Hübsche von der Donau. 

 

Wuzeln kommt von Rollen, zum Beispiel Teig rollen.  

 

Ein Stück von diesem weichen Zeug durfte er als Junge für die immer zu hart ausgefallenen Weihnachtskekse wuzeln.                                                                                                              Da ergab sich ein wissenschaftlich  unerklärbares Phänomen. Der fast weiße Teig färbte sich immer dunkler und die Finger des braven Kindes immer heller, bis es total helle reine Hände besaß. Seltsam, sagte er sich. Diese Erinnerung kam immer wieder hoch während seiner Fußmassagen.

Als Theresa eingeschlafen war, wanderte der etwas ausgeflippte Künstler ins Atelier.

Das unförmige Stück Holz erhält ganz allmählich Profil. Eine grobe Form entsteht. Josef stellt sie auf und geht um sie herum und lässt sie auf sich wirken. 

Optimal, sagt er laut und erntet aus der Küche herüber ein: 

Gib nicht so an. 

Bald kommt eine Krapfensperre, schreit er hinüber, ganz ohne Echo. 

 

Das Abrunden der Wülste macht Spaß. Eine schöne Arbeit, denkt er. Am fünften Tag schon wird die letzte Seite grob ausgearbeitet und man sieht in Umrissen die endgültige Form. 

 

Theresa war schon am Vortag abgereist und Ruhe war wieder eingekehrt. Jetzt kommt die Feinarbeit, sagt er und sitzt schon  im Schaukel-Liegestuhl. Entspannt lässt er sich zurückfallen, anfangs ganz ohne Whisky, was sich bald ändert. 

Nur muss erwähnt werden: Mit Alkohol lässt sich diese Art von Kunst nicht erschaffen. Er beeinträchtigt alles was vom Herzen kommt zu sehr. Daher findet der Whisky-Künstler ein kurzes Nickerchen angebracht. Irgendwann am späten Nachmittag bequemt er sich auf, zaghaft, aber frei im Geist. Bis spät in die Nacht hinein wird gewerkt, an der Göttlichen, wie er sie scherzhaft nennt. 

 

Nach der Arbeit das alles-Loslassen erweist sich oft als nicht ganz so einfach und daher, wieder ein Sitzen im schaukelnden Gestell. 

 

Nur zwei Kerzen erhellen den Raum, als der müde Holzarbeiter in seinen Boxen Monteverdi erklingen lässt. Ganz leise beginnen diese Sphärenklänge im mittleren Teil der Marienvesper. Musik vom Himmel, sagte er noch und lässt sich hineinfallen. 

Allmählich wird er zur Musik. Getrenntheit hebt sich auf. Ein Satz, der ihm schon einmal in den Sinn kam. Irgendwo hatte er ihn aufgefangen. Den, sagt er noch, bevor er endgültig die Gegensätze der Dinge loslässt. 

 

Die Welt ist Klang, flüstert er und zerfließt in Musik. 

Noch einen Schritt weiter und schon beginnt das Nichts, es überschneidet sich mit dem Alles, sagt er ernst und die Musik löst sich auf wie winzige Mosaiksteine, die man durcheinander würfelt.

Lange nach Mitternacht schleppt sich der entkräftete Whiskyliebhaber die luftige Holztreppe empor. 

Bald liegt er flach auf dem asketischen Riesenbett und sackt hinüber in eine andere Dimension, die sogar schnarchen erlaubt. 

 

In den kommenden Tagen beginnt die Feinarbeit. Mit noch einmal besonders fein nachgeschliffenen Bildhauer-Eisen werden die Unebenheiten teils ohne Knüppel nur mit den Händen, man könnte sagen, geschält, geglättet. Ganz besonders feine Unebenheiten bleiben absichtlich erhalten und in poliertem Zustand oft sogar mit der groben Raspel zerkratzt und betont. Ganz nach Bedarf. 

An den Kuppen, so sieht Josef es, werden besonders glatte Flächen erzielt beim Anschliff mit feinem Sandpapier. Der schönste und erhabenste Augenblick liegt in den letzten Momenten vor der Fertigstellung, noch im rohen Zustand, ohne Oberflächenbehandlung. Er steht da wie Kinder vor dem Lichterbaum, überall Geschenke. 

 

So wunderbar empfindet der Beschenkte seine Arbeit.

 

Das Leben überrascht täglich. Man sollte natürlich, schmunzelt er, auch seinen Beitrag leisten. Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind, heißt es so schön. Ohne Glauben und ohne Liebe geht nichts, sagt er sich: Die Liebe ist der Schlüssel zu allen Türen.

 

Ganz wenige Stellen verbleiben noch zu glätten und plötzlich steht sie da, die Göttliche; massig und doch hoch und schlank. 

Mein Gott ist sie schön und ich durfte dir ein neues Leben einhauchen, meint er, der für so manche als seltsamer Mensch gesehene Künstler

 

Sanft streichelt er sie wie man eine betörend schöne Frau streichelt. Womöglich nackt, lacht er. Nackt passt immer. Die Verwandlung abgeschlossen, sie ist vollendet, klingt es völlig überschwänglich, pathetisch vom Künstler, der sich hinkniet, verbeugt und den Boden mit der Stirn berührt und sein Danke sagt. 

Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.

Einfach alles ist stimmig in mir. So etwas darf man natürlich keinem Menschen erzählen. Es bleibt Geheimnis des schöpferisch Tätigen. 

 

Würde sein Knie weh tun, käme es gut an bei den meisten, aber sich vor einem Baum verbeugen und der Glücklichste der Welt zu sein, ist schon eine Zumutung für manche, lacht der Abgehobene, lehnt sich zurück im klapprigen Holzliegestuhl, lässt sich ganz leicht hin und her wiegen, holt schnell noch einen Whisky und schon schläft er. 

Der verdiente Schlaf, der Schlaf des Gerechten, würde er sagen, wäre er wach. Aber er schläft ja und daher sagt er ganz einfach nichts. 

 

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. 

 

Reproduktionen, auch auszugsweise, nur nach Genehmigung durch Josef Schnitzer.